Von der Schwebefliege zur Hummel
Von Christian Hauer
Augenscheinlich beherrschen es manche Individuen exzellent bewusst oder unbewusst den Eindruck, den sie auf ihre Mitmenschen machen, strategisch als auch taktisch zu steuern. Sie verwandeln sich im Rahmen eines Interaktionsprozesses von einer ungefährlichen Schwebefliege zu einer mächtigen Hummel, wobei die schwarz-gelbe Signalfarbe eine zentrale Rolle spielt, da sie de facto Macht signalisiert. Analog dazu imitieren beispielsweise harmlose Hornissenschwärmer giftige Hornissen oder diverse Schlangenarten die gefährliche Korallennatter, um von Rivalen nicht gefressen zu werden. Diese psychologische Transformation – auch bekannt als Mimikry (dt.: Nachahmung) – hat in der Biologie definitiv ihren Ursprung und wird gemäß BROCKHAUS (2006) als Sonderfall der tierischen Schutzanpassung beschrieben, bei der ein gut geschütztes Tier, das über eine Warntracht verfügt, von einem ungeschützten Tier anderer Artzugehörigkeit in Körperform oder Farbe kopiert wird. Überträgt man diese Tatsache auf den Menschen, so spricht man von Rangmimikry, denn durch die Präsentation von Symbolen eines höheren Ranges (z. B. teure Autos oder Uhren, elegante Kleidung, elitäre Umgangsformen und Sprache etc.) kommt es quasi zu einer Aufwertung der eigenen Person, da wir in einer kapitalistischen Ökonomie leben und Menschen in der Regel durch den ersten Eindruck beeinflussbare Augentiere sind.
In der modernen Sozialpsychologie sowie in der Medienpsychologie hat seit einiger Zeit der Terminus ,Impression Management’ in den wissenschaftlichen Diskurs Einzug gehalten, um den Vorgang der Eindruckssteuerung von Individuen und Gruppen näher zu analysieren. Wie es WASCHNIG (2005) in ihrer Diplomarbeit darstellt, entwickelte sich die Impression Management Theorie aus Elementen des Sozialbehavorismus von George Herbert Mead und dem Symbolischen Interaktionismus von Herbert Blumer. Zudem übten die Bühnenmetapher von Erving Goffman und die marxistische Interaktionstheorie, in der Begriffe wie etwa Marketingcharakter und Charaktermaske dominieren, einen großen Einfluss auf das heutige Verständnis dieses mikro- und mesoanalytischen Selbstdarstellungsphänomens aus. Die Autorin dokumentiert ferner, dass vor allem durch die marxistische Interaktionstheorie wissenschaftliche Fortschritte in diesem Bereich zu erzielen sind, da die beiden bürgerlich-konservativen Ansätze gewiss den mit dem Impression Management verbundenen Entfremdungsaspekt grob vernachlässigen.
Aber was verstehen die Experten unter diesem elegant klingenden zweiteiligen Konstrukt, welches jedoch stark nach Euphemismus, Manipulation, Täuschung und Betrug riecht? Das Wort ‚impression’ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie Sinneseindruck, Gefühlseindruck, Empfindung oder Wahrnehmung (vgl. Bünting 1997, S. 131). Der englische Begriff ‚management’ heißt Betriebsführung und das Zeitwort ‚managen’ kann mit organisieren, bewältigen oder einen Künstler beraten gleichgesetzt werden. Ergo ist ein Manager eine Person, die in der Wirtschaft eine leitende Position einnimmt (vgl. Bünting 1997, S. 185). Meiner Meinung nach könnte Impression Management demnach am besten mit Wahrnehmungsorganisation übersetzt werden, d.h. durch empathische Perspektivenverschränkung prognostiziert ein Individuum oder eine Organisation die optimale Darstellung der eigenen Anliegen in der Öffentlichkeit.
Weil in der einschlägigen Literatur keine einheitliche Begriffserklärung des Selbstdarstellungsphänomens zu lokalisieren ist, sollen im Folgenden einige Definitionen unter die Lupe genommen werden. WERTH (2004, S.117) liefert beispielsweise eine sehr kurze, aber doch prägnante Begriffserklärung von Impression Management. Sie konstatiert, dass es sich hierbei um ein Bestreben handelt, einen möglichst positiven Eindruck auf andere zu machen. MUMMENDEY (1995) hingegen nennt für teilweise identische Konstrukte, Begriffe wie ‚impression-management’, ‚image-control’ oder ‚self-presentation’. PIWINGER & EBERT (2001) führen zudem die Begriffe ‚Marketing of Self’, ‚Reputation Management’ oder ‚psychologisches Make-up’ ein. DITZ (2003, S. 11) erklärt sogar, dass die Termini Impression Management und Selbstdarstellung als Synonyme anzusehen sind, was natürlich in Fachkreisen Verwirrung stiftet: „Das Wort Impression Management wurde von Sozialpsychologen eingeführt. Soziologen bevorzugen eher den Begriff Selbstdarstellung (…).“ Resümierend stellen PIWINGER & EBERT (2001, S. 1) unverblümt fest, dass Impression Management zunehmend eine Strategie zur Inszenierung mit wachsender Bedeutung geworden ist:
„Impression Management ist der Versuch von Personen und Institutionen, den Eindruck, den sie auf andere machen, zu steuern und zu kontrollieren. Denn ein gutes Image und eine gelungene Selbstdarstellung ist die Grundlage für materiellen und immateriellen Erfolg wie z. B. Reputation und Glaubwürdigkeit. Impression Management in diesem Sinne ist also eine Inszenierungsstrategie, die den Prozess der Imagebildung beschreibt und erklärt.“
Kurz, nicht nur Organisationen versuchen das Image, welches sie in der Öffentlichkeit quasi bereits durch ihre Präsenz automatisch erzeugen zu prüfen, sondern auch der Einzelne hat zunehmend die Aufgabe sich immer mehr als so genannter ‚Manager in eigener Sache’ zu begreifen, um sich in diversen Marktkonstellationen (z.B. Heiratsmarkt, Werbemarkt, Transfermarkt etc.) nachhaltig zu profilieren. Gleichzeitig soll der Mensch ebenso am Arbeitsmarkt den Verkauf der eigenen Ware Arbeitskraft wie sein eigener Konzernchef forcieren (vgl. Waschnig 2005), denn der Return of Investment in Form von Reputation, Gehalt oder Anerkennung steht offensichtlich unter chronischen Maximierungszwang. Dass Impression Management als zentraler Erfolgsfaktor auf gesättigten Märkten zu verstehen ist, kann somit nicht von der Hand gewiesen werden. Wie funktioniert nun die Eindrucksteuerung und kann sogar ein Schema respektive ein Werkzeugkasten angeboten werden, welches der potentiellen Hummel (oder vielleicht besser: der eitlen Bienenkönigin) eine adäquate Gebrauchsanleitung zur Implementierung liefern kann?
Eigentlich schon, denn die umfassendste Klassifikation von Impression Management Techniken stammt von TEDESCHI, LINDSKOLD & ROSENFELD (1985), die in MUMMEDEY (1995) beschrieben wird. Die Autoren unterteilen die unterschiedlichen Techniken des Impression Managements in Impression Management-Strategien und Impression Management-Taktiken, indem sie sich eines ursprünglich militärischen Sprachgebrauchs bedienen. BAUER-JELINEK (2003, S. 13) bringt diese kriegerische Tendenz lakonisch auf den Punkt: „Die Wirtschaft befindet sich im Umbruch. Kampf, Krieg, Intrige, Attacke, Übernahme – zunehmend werden Begriffe verwendet, die dem militärischen Vokabular entlehnt sind“. Diese Unterscheidung zeigt, ob mit einem bestimmten Selbstdarstellungsverhalten eher kurzfristige und situationsspezifische oder eher langfristige und situationsübergreifende Ziele verfolgt werden. Strategien sind auf einen langfristigen Handlungsspielraum angelegt und entfalten situationsübergreifende Wirkung, während Taktiken als situationsspezifisch und kurzfristig einzusetzende Maßnahmen gelten (vgl. Waschnig 2005).
Ein weiterer Klassifikationsgesichtspunkt wird durch das Begriffspaar ‚assertiv’ und ‚defensiv’ eingeführt. Das Wort ‚assertiv’ bedeutet ‚durchsetzungsbereit’, militärisch gesprochen wird hier eher angegriffen oder ‚vorneverteidigt’ (vgl. Mummendey 1995, S. 136) und assoziiert, dass eine assertive Person nicht schüchtern ist, sondern aktiv, autonom und bestimmt agiert und es versteht, ihren Interessen Geltung zu verschaffen. Dieses aktiv vorgetragene Selbstdarstellungsverhalten dient beispielsweise dazu, Belohnungen, Zuspruch oder positive Beurteilungen zu erreichen. Hingegen bedeutet ‚defensiv’ oder ‚verteidigend’ und dient dazu, seine Identität zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen, wenn sie von anderen Personen in Frage gestellt, bedroht oder beeinträchtigt erscheint (vgl. Waschnig 2005). ROSENFELD, GIACALONE & RIORDAN (1995) nehmen eine weitere Unterteilung vor und unterscheiden zwischen acquisitivem Impression Management und protektivem Impression Management. Beim Wort acquistitiv fällt sofort die Parallele zum Begriff ,Akquisition’ auf, denn dies sind „alle Tätigkeiten der Verkaufsorgane eines Unternehmens zur Gewinnung neuer Kunden und Aufträge oder zu Geschäftsabschlüssen mit bestehenden Kunden beim Absatz von Wirtschaftsgütern“ (Brockhaus 2006). Während acquisitive Techniken primär darauf abzielen, positiv beurteilt zu werden, sollen protektive Impression Management Techniken davor schützen, negativ eingeschätzt zu werden. MUMMENDEY (1995) unterteilt Impression Management Techniken in positive und negative Techniken. Diese Differenzierung erfolgt nach dem Kriterium, ob sich ein Individuum in günstiger, sprich in selbst erhöhender Art und Weise inszeniert oder in ungünstiger, sprich in selbst herabsetzender und sozial unerwünschten Verhaltensweise darstellt (vgl. Mummendey 1995, S. 140f.).
Zu den positiven Impression Management Techniken zählen (1) Eigenwerbung betreiben (self-promotion), (2) hohe Ansprüche signalisieren (entitlements), (3) hohes Selbstwertgefühl herausstellen (self-enhancement) und übertreiben (overstatement), (4) sich über Kontakte aufwerten (BIRGing = basking in reflected glory) und sich über Kontakte positiv abheben (boosting), (5) Kompetenz und Expertentum signalisieren (competence, expertise), (6) Beispielhaft erscheinen (exemplifikation), (7) Attraktivität herausstellen (personal attraction), (8) Offenheit hervorkehren (self-disclosure), (9) Glaub- und Vertrauenswürdigkeit herausstellen (credibility, trustworthiness), (10) hohen Status und Prestige herauskehren (status, prestige) und schließlich (11) sich beliebt machen, sich einschmeicheln (ingratiation, other-enhancement). Mit diesen Strategien und Taktiken der Selbstdarstellung versucht ein Akteur eine längerfristig gültige und positive Reputation zu erwerben, die auch über unterschiedliche Situationen hinweg wirksam ist. Hingegen zählen zu den defensiven Techniken (1) Entschuldigen, Abstreiten von Verantwortlichkeit (apologies, excuses), Rechtfertigen (justification, accounts) in misslichen Lagen (predicaments), (2) Widerrufen, ableugnen, dementieren, vorsorglich abschwächen (disclaimers), (3) sich als unvollkommen darstellen (self-handicapping), (4) understatement, (5) Hilfsbedürftig erscheinen (supplication), (6) Symptome geistiger Erkrankung zeigen, (7) Bedrohen und Einschüchtern (intimidation) und last but not least (8) Abwerten anderer (blasting).
Durch die künstliche Selbststeuerung, die mit dem Impression Management zumeist in einem Atemzug genannt wird, vermuten allerdings Kritiker die wachsende Existenz von ‚leeren Hüllen’, die ihre eher bescheidenen Leistungen wie eine Seifenblase aufblähen und im Sinne des faschistoiden Stärkekults penetrant zu Markte tragen, um möglichst viele Nachfrager der Marke Ich zu finden. In vielen Fällen ergeht es diesen selbsternannten Profitcentern, die den Markt quasi internalisiert haben und die Peitsche des Marktes in sich tragen, wie den Bankrotteuren der New Economy. Nach einem kurzen ökonomischen Höhenflug folgt zumeist ein Leben in Entfremdung, Abhängigkeit und finanzieller Tristesse. Andererseits bleibt den Menschen, die zunehmend durch Arbeitslosigkeit bedroht werden, ja gar nichts anderes übrig als sich an den neoliberalen Zeitgeist anzupassen, da Konkurrenzfähigkeit zum Fetisch des Marktes mutiert ist. Nur mit allen Wassern gewaschene Business-Krieger, die flexibel agieren und stets ein Netzwerk im Schlepptau haben, können in Zeiten der zunehmenden Austauschbarkeit der Ware Arbeitskraft ihr Überleben sichern ohne wirklich ernsthaft krank zu werden. Fazit: Nicht nur Konzerne beuten ihre Mitarbeiter aus, sondern auch der flexible Mensch, der zunehmend als Miniaturfirma fungiert, sitzt als Profitgeier auf der Anklagebank – das Opfer ist er selbst, denn er spielt in der kapitalistischen Ökonomie eine schizophrene Doppelrolle: kapitalhöriger Firmenboss und devoter Mitarbeiter.
Dr. Chr. H. (E.A.M. 2004)
Literatur:
Bauer-Jelinek, Christine (2003). Business-Krieger. Überleben in Zeiten der Globalisierung.
Wien: ÖVG.
Brockhaus (2006). Das umfassende Multimedia-Lexikon für Anspruchsvolle. [Multimedia].
Mannheim: Brockhaus AG.
Bünting, Karl Dieter (1997). Fremdwörterlexikon. Bergisch-Gladbach: Honos.
Ditz, Katharina (2003). Mein persönlicher Auftritt. Impression Management - die Kunst der
Selbstdarstellung. Graz: Leykam.
Mummendey, Hans Dieter (1995). Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen: Hogrefe.
Piwinger, Manfred & Ebert, Helmut (2001). „Impression Management. Wie aus Niemand
Jemand wird“. In: Bentele/Piwinger/Schönborn (Hrsg.): Kommunikationsmanagement (Loseblattwerk). Neuwied: Luchterhand, November, Kap. 1.06.
Rosenfeld, Paul/Giacalone, Robert A. & Riordan, Catherine A. (1995). Impression
Management in Organizations. Theory, Measurement, Practise.London/New York: Routledge.
Waschnig, Eva-Maria (2005). Der Verkauf der Ware ,Arbeitskraft’ am neoliberalen
Arbeitsmarkt: Mehr (liebenswürdiger) Schein als Sein? Klagenfurt: unveröffentlichte
Diplomarbeit der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.
Werth, Lioba (2004). Psychologie für die Wirtschaft. Grundlagen und Anwendungen.
Heidelberg - Berlin: Spektrum Akademischer Verlag.
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Klaus-Dieter Peterson (Montag, 15 August 2016 19:38)
Sehr geehrte Damen und Herren,meine Großmutter hat zu mir gesagt:Kläuschen ließ,Lesen bildet.Weiß ja
Jeder,stimmt aber auch.Also bin ich wieder ein Stück weiter.Herzlichst O.K.