Von Sarah Bergmann
Frauen vor Flußlandschaft (1985) ist eine schonungslose Abrechnung mit den politischen Zuständen in der BRD. Kritisiert werden aber nicht nur die Politiker, sondern vor allem auch die Bankiers und die Industriemagnaten, welche – nach einer Formulierung der Romanfigur Ernst Grobsch – die Bürger der BRD “nicht regieren, sondern beherrschen”. Das wenig schmeichelhafte Bild, das uns Böll von diesen grauen Eminenzen im Hintergrund liefert, ist zwar zum Teil satirisch überzeichnet, dennoch wird sicher der ein oder andere Leser die Reichen und Mächtigen in Bölls Portraits wiedererkennen.
Das abstrakte Geld Was den Bankiers und Großindustriellen ihre Macht verleiht, liegt auf der Hand: es ist das Geld, genauer gesagt das Kapital, von Böll in Ansichten eines Clowns (1963) “abstraktes Geld” genannt. (Romane und Erzählungen 4, S. 203) Der große Vorteil des abstrakten Geldes ist, daß man es überhaupt nicht anzurühren braucht, um ein Leben in Luxus und Überfluß zu führen, denn ein dickes Kapital trägt dicke Zinsen. So kann es sich der Bankier Kapspeter in Frauen vor Flußlandschaft zum Beispiel ohne weiteres leisten, seinen Flügel (auf dem Beethoven gespielt haben soll), sofort nachdem das wertvolle Stück dem “mysteriösen Bankiersflügelzerleger” zum Opfer gefallen ist, durch einen neuen, ebenso teuren zu ersetzen und seine Tochter aus New York einfliegen zu lassen, damit sie ihn ausprobiert. Die Anbetung des Geldes hat jedoch eine Schattenseite: die Verehrer gleichen sich dem Verehrten an, sie werden in ihrem Inneren leblos, unfrei und leer. Je kunstvoller und elaborierter die Repräsentation, desto schaler scheint das Seelenleben der Menschen zu sein. Die Bankiers und Großindustriellen herrschen also mit Hilfe des abstrakten Geldes, sie werden aber zugleich auch von diesem beherrscht; ihre Konsumsucht, ihre Machtbesessenheit und ihre Imagegeilheit lassen sie zu leblosen Marionetten verkommen.
Der “Schwamm” Die Großindustriellen werden im Roman durch den “Schwamm” repräsentiert, der so genannt wird, weil er Unmengen von Geld aufsaugt. Er ist die personifizierte Macht. Der Politiker Paul Chundt stellt fest: “Sogar Kapspeter, vor dem so viele zittern, zittert vor ihm.” Eva Plint, die Freundin des Politikers Ernst Grobsch, fragt schaudernd: “Was ist das für eine Macht, die der Schwamm hat...” In der Tat verfügt der Schwamm über eine derart unumschränkte Macht, daß er den Rang eines Pseudo-Gottes innehat. In einem Anfall von Irrsinn ruft eine Romanfigur aus: “Der Schwamm erbarme sich Eurer, der Schwamm erhöre Euch.” (S. 170, 181 u. 186) Als Pseudo-Gott verteilt der Schwamm Heaven-Hint-Aktien an seine danach lechzende Anhängerschaft. Entgegen ihres sprechenden Namens haben diese Aktien jedoch nichts mit einem transzendenten Himmel zu tun, sondern mit Weltraumrüstung. Der Schwamm steht nicht nur für Macht, sondern auch für den Machtmißbrauch, für nationale und internationale Ausbeutung nämlich. Ein Beispiel für die nationale Ausbeutung ist Ernst Grobsch, der aus seiner proletarischen Kindheit und Jugend folgendes erzählt: “Hinterhof in Wuppertal: der Geruch der Abfälle, huschende Ratten und die graue, ewig tropfende Wäsche auf den Recks.” Ernst Grobsch mußte “arbeiten: schleppen und hacken, Umzüge und Müll, mußte die Kotzdämpfe der Chemischen schlucken”... Und er “verfluchte [seinen] Alten, wenn er wieder mal besoffen war, und kaufte ihm doch Schnaps.” (S. 110f.) Zur internationalen Ausbeutung hat Ernst Grobsch auch etwas zu sagen; er ruft in Erinnerung, daß das Geld, welches Deutschlands Reichen und Mächtigen aus den “Gefilden des gottseeligen Marcos oder des gottseeligen Pinochet und sogar aus den Gefilden des allergottseeligsten Breschnew” zuströmt, aus “Schweiß und Blut, Tränen und Scheiße gemacht wird.”
Eine weitere Romanfigur macht folgende prägnante Aussage: “Beim Studium habe ich so manches erfahren, [...] wo das Geld so hingeht, und von wo es zurückkommt, verdreifacht, verzehnfacht, verhundertfacht: Öl, Waffen, Teppiche und Mädchen, die sich besaufen oder betäuben müssen, um nicht ständig zu kotzen, und die dann kotzen, weil sie sich besoffen haben, um nicht zu kotzen – und überall trifft man auf den, den sie den Schwamm nennen.” (S. 36 u. 107) Auch als Privatmann mißbraucht der Schwamm seine Machtstellung; mit Vorliebe verführt er anständige Frauen und macht sie auf diese Weise unanständig, zieht sie also auf sein niedriges moralisches Niveau hinab. Wenn die Erwählte nicht pariert – wie die Haushaltshilfe Katharina, die ihm in der Öffentlichkeit eine Ohrfeige gibt – rächt er sich für die Kränkung seiner Eitelkeit, indem er ihr, unter anderem durch geschickte Verleumdungen, für welche ihm die geeigneten Publikationsorgane zur Verfügung stehen, das Leben zur Hölle macht. Ebenso aufschlußreich ist eine weitere Frauengeschichte des Schwamm: Unmittelbar nachdem er von Katharina abgewiesen wurde, macht er sich an die Ministergattin Trude Blaukrämer heran.
Da sie auf seine Avancen anspricht, überkommen den Schwamm romantische Anwandlungen, die ihn veranlassen, im Morgengrauen durch den Park zur Blaukrämer'schen Villa zu schleichen – obwohl ihm Tür und Tor offengestanden hätten –, wobei er von einem Leibwächter angeschossen wird. Dieses gefahrvolle amouröse Abenteuer scheint auf den ersten Blick zu zeigen, daß der Schwamm doch über eine ziemlich ausgeprägte Liebesfähigkeit verfügt. Bei näherer Betrachtung wirkt es in seiner Überzogenheit jedoch weniger wie eine romantische Tat als vielmehr wie der verzweifelte Versuch, für kurze Zeit aus einem faden, von Gefühlsarmut gekennzeichnetem Leben auszubrechen. Damit fügt sich diese Episode hervorragend in das Gesamtbild vom Schwamm, nach welchem er ein lebloses, austauschbares Wesen, ein kalter, seelenloser Machtmensch ist.
Die Bankiers Wie die Großindustriellen stehen auch die Bankiers in Frauen vor Flußlandschaft für den Machtmißbrauch. Natürlich sind auch sie an der Ausbeutung des Proletariats und der Dritten Welt maßgeblich beteiligt, außerdem werden sie mit verschiedenen Verbrechen während des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Eine Romanfigur sagt: “Ich weiß auch, daß Kapspeter der größte, weiseste und frömmste aller Bankiers ist, richtig feinsinnig, gebildet, sensibel, exquisit in seinem Geschmack – und doch [...] nehme ich an, daß er irgendwie noch an der Kugel oder der Granate verdient hat, die meinen Bruder getötet hat.” (S. 28) Auch hat sich Kapspeter bei der Arisierung der Banken kräftig bereichert (und jetzt tut er alles, damit diese unrühmliche Episode seiner Laufbahn in Vergessenheit gerät). Vor dem Handel mit dem Zahngold der im KZ Ermordeten sind die Bankiers ebenfalls nicht zurückgeschreckt.
Wie aber paßt dies alles damit zusammen, daß – wie im Roman immer wieder hervorgehoben wird – die Bankiers überaus sensible und äußerst kunstsinnige Menschen sind? Wenn man die Sensibilität der Bankiers eingehend betrachtet, muß man feststellen: sie ist seltsam einseitig, sie beinhaltet die Fähigkeit zu fühlen und zu leiden, nicht jedoch die Fä-higkeit mitzufühlen und mitzuleiden. Aus gutem Grund wirft Eva Plint der Bankierstochter Adelheid Kapspeter vor: “Wenn euch einer zu nahe tritt, dann beruft ihr euch auf eure Empfindsamkeit – bei anderen ist es Empfindlichkeit.” (S. 140f.) Was das bedeutet, daß die Bankiers über eine so ausgeprägte, zugleich aber kastrierte Sensibilität verfügen, führt uns Ernst Grobsch vor Augen: “Sogar Plukanski, den ich hasse – er war mir näher als diese feinen, edlen Menschen inmitten dieser feinen, edlen Möbel. Noch schlimmer: sogar Chundt, den ich umbringen könnte, dieser Schurke, und Blaukrämer, dieser Schmierfink. Sie alle waren mir näher – weil wir, die Politiker, doch gemeinsam den Dreck machen und den Dreck wegräumen, damit sie, ohne sich schmutzig zu machen, abstauben können. Fein, und fahren auf Auktionen, um wertvolle Kruzifixe fürs Vaterland zu retten, denken nicht an das Blut, den Schweiß, die Scheiße, aus denen ihr Geld gemacht wird.”
Ernst Grobsch aber denkt daran und bekommt davon “metaphysischen Schüttelfrost”. (S. 89f. u. 93) Was das Verhältnis der Bankiers zur Kunst kennzeichnet, ist nicht Innerlichkeit – im Ge-gensatz zu Ernst Grobsch beispielsweise, welcher bei bestimmter Musik weinen muß – sondern ein treffsicherer Geschmack. Diesen guten Geschmack, der wiederum Proletariern wie Grobsch völlig fehlt, stellen die Bankiers gerne zur Schau, um sich vom “gemeinen Volk” abzuheben. Daß sie sich auf ihren guten Geschmack jedoch eigentlich gar nichts einzubilden brauchen, macht eine Formulierung von Eva Plint deutlich: “Geschmack bedeutet nichts, nichts – es kommt ja auch von Schmecken.” (S. 141)
Die Bankiers sind aber nicht nur dazu in der Lage, unfehlbare Geschmacksurteile abzugeben, sie haben durchaus auch eine starke emotionale Beziehung zur Kunst: “Sie lieben die Kunst, wirklich, sie verehren sie.” (S. 67) Aber – sie lieben eben nicht die Kunst als solche, sondern sie lieben sie als ein Instrument der Repräsentation, wozu sie sich zugegebenermaßen auch vorzüglich eignet: mit Hilfe der Kunst können die Bankiers ihren edlen Geschmack beweisen und zugleich ihren Reichtum, sowie ihr kulturelles Bewußtsein demonstrieren; schließlich besitzen sie alle wertvolle Flügel, auf denen einst ein großer Komponist gespielt hat. Die Kunst ist also völlig von den Reichen und Vornehmen vereinnahmt. Nach dieser allgemeinen Darstellung der Bankiers, muß noch auf eine Bankiersfamilie eingegangen werden, die aus dem Rahmen fällt: die Krengels. Frau Krengel starb nach Aussage ihres Mannes an “Angst, Phantasie und Apathie... sie konnte kein Geld sehen, dachte immer an das Zahngold der Ermordeten”. Hilde, die Tochter, will lieber in Nicaragua sterben, als in der BRD leben. Und der Bankier Krengel selbst? Der möchte – inspiriert von dem Unbekannten, der nachts Bankiersflügel in ihre Einzelteile zerlegt – als Abschiedsgeschenk für seine Tochter sein eigenes Klavier auseinandernehmen. Zu seinem Motiv äußert er sich folgendermaßen: “Ein Musikinstrument [...], auf dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bach gespielt hat – den auseinanderzunehmen – ich sehe darin einen Akt höchster Spiritualität, eine Art himmlischen Protest gegen die Täuschungen der Musik, gegen den Luxus, den Hunger, den Durst, gegen Krieg und jegliches Elend und jegliche Form von Materialismus.” Gewiß trägt dieses Vorhaben eine schöne Symbolik, aber es bedeutet eben auch, daß dasFlügelzerlegen zur salonfähigen Abendunterhaltung gemacht wird. Dem Protest des anonymen Zerlegers wertvoller Bankiersflügel ist damit der Stachel gezogen, das “Happening” wird von “genau dem kulturellen Establishment vereinnahmt, gegen den [sein] Protest gerichtet war.” (Reid, S. 291) Erst die Vereinnahmung der Kunst, dann die Vereinnahmung der Gegenkunst – den Reichen und Mächtigen ist offenbar schwer beizukommen.
Die Stabilität der Macht Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, die Mächtigen, die ihre Seele dem Mammon verkauft haben, irgendwie loszuwerden? Ernst Grobsch glaubt nicht daran: “Die Herren, die uns nicht regieren, sondern beherrschen, die werden nie fallen, nie stürzen. [...] Sie sind ewig haltbar, es ist das wahre Gottesgnadentum des Geldes. [...] Nein, die regieren nie und können nie gestürzt werden, die bleiben immer rein wie die Herrscher von Gottes Gnaden.” (S. 92f.) Regieren – das bedeutet, sich notwendigerweise die Finger schmutzig zu machen und gleichzeitig darauf zu achten, daß man sie sich nicht zu schmutzig macht, denn als Politiker kann man für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden, man ist angreifbar. Beherrschen dagegen heißt, sich auf skrupellose und dabei völlig legale Weise bereichern zu können. Und selbst wenn die feinen Herren einmal die Gesetze brechen – vor Gericht stehen sie nach Überzeugung der Proletarierin Lore Schmitz immer als die strahlenden Sieger da. Angesichts dieser desolaten Zustände in der BRD kehren nicht wenige der Anständigen in Frauen vor Flußlandschaft der Politik den Rücken oder begehen gar Suizid. Viele Böllforscher vertreten daher die These, Frauen vor Flußlandschaft sei ein Werk der Hoffnungslosigkeit und der Resignation. Andererseits aber hat Heinrich Böll immer wieder betont, daß es die Pflicht jedes Menschen sei, gegen ungerechte Verhältnisse etwas zu unternehmen. Und so gibt es auch inFrauen vor Flußlandschaft einen Hoffnungsträger, nämlich die jüngere Generation, welche nicht gewillt ist, die Zustände, die in der Bundesrepublik herrschen, einfach so hinzunehmen. Ihr Wortführer Ernst Grobsch ist von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten einer Einmischung fest überzeugt: “Dies ist der einzige Staat, den wir haben, es gibt keinen anderen, auch keinen besseren. Er hat uns gemacht, und wir haben ihn gemacht. [...][Wir] müssen den Unrat ertragen, ihn verringern. [...] Ich will einen Staat machen, in dem diese Lore hier einsehen könnte, daß es schön ist, ja schön, Gesetze einzuhalten, auch wenn andere sie frech und ungestraft verletzen. Klarmachen, daß esunser Gesetz ist, nicht deren.” (S. 179f.) Unter diesem Motto schließt sich die jüngere Generation am Schluß des Romans zusammen, um gemeinsam etwas zu bewegen. Es ist also nicht so, daß am Ende nur die Resignation übrig bleibt, vielmehr besteht durchaus Hoffnung auf Veränderungen, nur – die Herrschaft des Geldes respektive derer, die mit Hilfe des Geldes herrschen, wird davon unangetastet bleiben, weil sie (darüber erlaubt der Roman gar keine Illusion) schlichtweg unantastbar ist. “Das Geld hat kein Herz, es ist unverwundbar”, heißt es an einer Stelle. Und das gewichtige letzte Wort des Romans hat ein Bankier; er spricht von seinem “bleiernen Dasein”. (S. 188 u. 191)
Wer wie Böll der Ansicht ist, daß in der Bundesrepublik ungerechte Strukturen herrschen, diese aber nur schwer verändert werden können, da diejenigen, welche dieMacht haben, keine Veränderung wollen, wird von Frauen vor Flußlandschaft also viel Bestätigung erhalten – doch wer Böll als engagierten Schriftsteller kennt, weiß auch: je schlimmer und hoffnungsloser er die Zustände darstellt, umso mehr versucht er damit seine Leserschaft zu mobilisieren, denn wie Ernst Grobsch sagt: Dies ist unser Staat, wir haben keinen anderen.
Literatur: Böll, H.: Frauen vor Flußlandschaft – Roman in Dialogen und Selbstgesprächen. München 1990 Böll, H.: Romane und Erzählungen 4. Hg. von Bernd Balzer. Köln 1977 Bernàth, À. (Hg.): Geschichte und Melancholie – Über Heinrich Bölls Roman Frauen vor Flußlandschaft. Köln 1995 Butler, M. (Hg.): The narrative fiction of Heinrich Böll – Social conscience and literary achievement. Cambridge 1994 Linder, C.: Heinrich Böll – Leben und Schreiben 1917-1985. Köln 1986 Reid, J. H.: Heinrich Böll – Ein Zeuge seiner Zeit. München 1991 Vormweg, H.: Der andere Deutsche. Heinrich Böll. Eine Biographie. Köln 2000
(E.A.M. Berlin 6-2005) S.B.
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